Der Welttag zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung am 17. Oktober hat an zahlreichen Orten der Welt eine Vielfalt an Menschen, darunter viele Armutsbetroffene, und Organisationen zusammengeführt, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, das Elend zu stoppen.

Photo: 17. Okt. in Lausanne mit Association des familles du Quart Monde de l’Ouest Lausannois

Auch in mehreren Schweizer Städten wie Basel, Winterthur, Genf, Renens und La Chaux-de-Fonds wurden an diesem Tag der Menschen gedacht, die in Armut leben, und auch ihres Muts, mit dem sie täglich der Not, der Verachtung und dem Unverständnis begegnen.

Nadia hat an der UNO in Genf – über Emilie, eine Mittelschülerin von 17 Jahren, die ihre Worte vorgelesen hat – davon berichtet. Zwei Schweizerinnen mit ganz ungleichen Lebenswegen.

Ich heisse Nadia, ich bin 26 Jahre alt.

Ich mache eine Lehre als Verkäuferin im Detailhandel. Ich bin im zweiten Jahr, ich lasse nicht locker und arbeite, um das Ziel zu erreichen. Meine Geschwister glauben nicht, dass ich es schaffen werde, denn keines von ihnen hat eine Ausbildung erworben. Aber ich habe das erste Jahr geschafft und ich zeige ihnen, dass es geht. Ich ziehe sie mit.

Was ich als Kind erlebt habe, das war nicht normal: zu viele Schwierigkeiten. Aber ich habe gelernt und lerne immer noch anzunehmen, was ich erlebte. In der Schule sprach ich nicht davon. Aber alle wussten es wegen meines Mangels an Hygiene und an Ernährung und wegen meiner ständigen Auflehnung. Ich schämte mich viel zu sehr, einem Erwachsenen etwas zu sagen, irgendwie aus Angst, meiner Familie zu schaden. Hat mich das vielleicht am Lernen gehindert?  (… weiter lesen)

Vor meiner Lehre sollte ich obligatorische Praktikumszeiten machen. Aber einen Monat lang Zündholzschachteln herstellen, das ist kein Praktikum. Ich sagte der Sozialarbeiterin, dass mir das nichts bringe und ich nicht zu diesem Zweck hier sei. Ich getraue mich halt zu sagen, was ich denke, zum Glück!

Heute, auch wenn ich mich anstrengen muss, um das Ziel zu erreichen, wehre ich mich und bin stolz, dass ich alle diese Hindernisse und ja, auch Ungerechtigkeiten, überwinden konnte. Denn als in Genf geborene Schweizerin verstehe ich nicht, dass mir der Staat keine Unterkunft besorgen konnte, als ich obdachlos war, um mir eine Chance zu geben, meinen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Ich muss meinen Lehrabschluss schaffen, es ist ein Kampf wegen allen, die nicht an meine Fähigkeiten glauben und wegen allen, die mir keine Chance geben wollten.

oo

INTERVIEW———-

Emilie, was hat dich in diesem Bericht, den du an der UNO vorgelesen hast, angesprochen?
Es ist mir aufgefallen, dass Nadia und ich, obwohl wir beide in Genf geboren und Schweizerinnen sind, ein komplett verschiedenes Leben haben. Ich kann mir kaum vorstellen, wie jemand mit den gleichen Rechten wie ich in einer so grossen sozialen Ungleichheit aufwächst. Ich war schockiert, als ich ihren Bericht las, denn ich hätte das nie für möglich gehalten.

Was hast du erfahren?
Es hat mich schockiert, dass sie sichtbare körperliche Spuren von der Unsicherheit davongetragen hat, in der sie noch ganz jung auf der Strasse gelebt hat. Das ist nicht normal und ganz und gar ungerecht, da bin ich einverstanden mit ihr. Vorher stellte ich mir die Gesellschaft perfekt vor, ich stellte sie nicht in Frage. Aber beim Lesen solcher Erfahrungsberichte stösst man auf soziale Ungleichheiten.

Ihr seid beide in Genf geborene Schweizerinnen, was unterscheidet euch?
Den grossen Unterschied mit Nadia sehe ich darin, dass ich in einer Familie lebe, der es an nichts mangelt, während sie in grosser Unsicherheit gelebt hat. Die simple Frage des Geldes hat den Weg unseres Lebens vollständig bestimmt. Das sollte nicht so sein. Das Geld sollte zweitrangig sein, es sollte nicht soviel Einfluss haben auf unser Leben. Warum war es dir ein Anliegen, ihren Bericht vorzulesen? An der UNO ihren Bericht vorzulesen, das war für mich eine Art, mich mit Nadia zu wehren und die von ihr erlebten Ungerechtigkeiten aufzuzeigen. Da ich erst 17 Jahre alt bin, konnte ich mit dem Lesen an der UNO zeigen, dass ich trotz meiner Jugend versuche zu handeln. Ich meine, indem man handelt, kann man etwas ändern.

Was möchtest du Nadia sagen?
Dass sie sehr mutig ist und so weiterfahren soll. Trotz ihrer zahlreichen Schwierigkeiten wehrt sie sich und, vor allem, sie teilt sich mit.

 

Zivildienst leisten bei ATD Vierte Welt

Kannst du dich kurz vorstellen und sagen, wie du darauf gekommen bist, einen Zivildienst bei ATD Vierte Welt zu leisten?
Nach der Matura ging ich auf Reisen, vor allem in Afrika. Dann machte ich mehrere Zivildiensteinsätze. Ich werde im September 2019 ein Studium in Sozial-arbeit beginnen. Für meinen Zivildiensteinsatz suchte ich vor allem im sozialen Bereich. Ich stiess auf die Bewegung ATD Vierte Welt, die ich nicht kannte. Ich fand heraus, dass es ihr um Armut, Ungleichheit und Würde geht, Anliegen, die mich seit meiner Reise nach Afrika beschäftigen.

Was hast du dann bei ATD Vierte Welt gemacht?
Ich habe bei verschiedenen Projekten mitgeholfen: im Sekretariat für die Vorpremière des Films „was ist aus uns geworden“, in Marly bei der Ausstellung „Deine Farben, meine Farben“, in Genf bei den Veranstaltungen zum 17. Oktober (Welttag zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung) und bei der Strassen-bibliothek. Diese verschiedenen Projekte haben mich begeistert, sie waren gleichzeitig konkret und vielseitig. Ich habe mit verschiedenen Teams gearbeitet, was zwar Energie erfordert, aber auch die Routine bricht!

Was hast du mit uns gelernt oder was hat dich überrascht ?
Ich habe den Eindruck, dass ich den Vorhang, hinter dem sich die Armut in der Schweiz befindet, lüften konnte. In unserem Land ist die Armut versteckt, aber alle wissen irgendwie, dass sie da ist. Ich konnte diese verborgene Seite der Schweiz wirklich entdecken. Das konnte ich bei Gesprächen mit Mitarbeitenden tun, aber auch bei der Begegnung mit aktiven Basis-mitgliedern und anderen Armutsbetroffenen, wie auch über Werke wie das Buch von Nelly Schenker oder den Film „was ist aus uns geworden“. In Bezug auf meine Reisen in Afrika und meine Zeit bei ATD Vierte Welt in der Schweiz habe ich vor allem gelernt, dass es nicht eine Armut gibt, die schlimmer ist als die andere, sei sie materiell oder sozial. Was du fühlst, ist dasselbe, du fühlst dich ebenso verstossen, seist du am Verhungern oder in grosser Verlassenheit. Kannst du ein prägendes Erlebnis aus deinem Einsatz beschreiben? Vielleicht dieses: Ein Treffen der Gruppe „collectif 17 octobre“ in Genf zur Vorbereitung des Welttags zur Überwindung der Armut an der UNO. Es war in den ersten Tagen meines Zivildienstes. Am Tisch sassen Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebenserfahrungen: Basismitglieder der Vierten Welt aber auch ein Beamter der UNO und Leitende von NGOs.

Mir fiel auf, dass ich mich mit jedem aufgrund derselben Würde verbunden fühlte, dass die Meinung und Überlegung eines jeden zählte, auch die meine, ohne dass da unbedingt eine Person als «zuständiger» gegolten hätte als die andere.

Und dann war es zum ersten Mal, dass ich jemanden direkt von seinem schwierigen Leben reden hörte! Es ist beeindruckend zu hören, wie Betroffene selber von ihrem Leben reden.

Was wirst du zurückbehalten von dieser Zeit mit uns?
Also, anfangs hatte ich ja einige Befürchtungen, aber jetzt bin ich sehr zufrieden. Ich habe mich wirklich einbezogen gefühlt, geschätzt, mit Verantwortung betraut und einem Platz im Team. Und dann hat mich dieser Zivildienst in meinem Wunsch bestärkt, mich in sozialen Belangen zu engagieren und meinen Beruf vielleicht einmal im NGO-Bereich auszuüben. Die Ziele von ATD Vierte Welt, die Art sich zu organisieren und die Mitwirkung aller zu suchen, gefallen mir sehr. Ich verspüre Lust, mich meinen Möglichkeiten entsprechend weiterhin mit ATD Vierte Welt einzusetzen. Auf jeden Fall weiss ich jetzt, dass es diese Bewegung gibt, die eine grosse Freiheit und eine Vielfalt an Einsatzformen bereithält. Das behalte ich im Kopf!

 

 

Kunstwerke aus Kinderhand

In einer Kunstausstellung sind für gewöhnlich Werke anerkannter Künstler zu sehen. Nicht so in der Wanderausstellung von ATD Vierte Welt. Getragen von der Überzeugung, dass in jedem Menschen künstlerische Fähigkeiten stecken, sind hier alle willkommen.

In der Ausstellung „Deine Farben, meine Farben“ in Marly (FR) trafen sich denn auch Kunstschaffende unterschiedlicher Herkunft, auch solche, die in Armut leben oder Ausgrenzung erfahren haben. Ein besonderer Platz gehörte den Kindern.

Die Gemeinde von Marly hat für Kinder ab 6 Jahren den „Square Brico“ eingerichtet. Da können die Kinder jeweils am Mittwoch- und Samstagnachmittag in verschiedenen Wohnquartieren basteln, spielen und Neues entdecken. In diesem Rahmen leitete ich eine Werkstatt, in der die Kinder aus Abfallmaterial etwas Neues herstellen konnten. Dabei durften sie ihren Ideen freien Lauf lassen. Allein oder mit andern lernten sie den Umgang mit verschiedenen Werkzeugen und Materialien wie Holz, Metall, Nägeln, Leimpistole und vielem mehr. So entstand eine ganze Reihe origineller Figuren, grosse und kleine, die im Gemeinschaftszentrum bis zum 29. November ausgestellt wurden. ( …weiter lesen)

Im Ganzen hatten 34 Kinder vielfältiger sozialer und kultureller Herkunft aus mehreren Vierteln an der Ausstellung „Deine Farben, meine Farben“ teilgenommen. Nachher suchte ich einige von ihnen auf, um eine Rückmeldung zu erhalten.

Mir hat es gefallen, mit dem Bohrer umgehen zu lernen und Nägel einzuschlagen. Etwas, das ich gemacht habe, war ein Berg aus Holz, und es war schön, mit dir die kleinen Männchen zu machen, die darauf skifahren. Die Ausstellung habe ich nicht gesehen, aber ich weiss, dass dort, wo mein Vater arbeitet, auch ein paar Bilder hängen.

Es hat mir Spass gemacht, komische Figuren herzustellen! Ich bin stolz, dass ich an dieser Ausstellung dabei bin.

Es ist schön, alle unsere Werke beisammen zu sehen. Ich fand es gut, Abfallmaterial zu verwenden und mit Zange und Leimpistole zu arbeiten. Es kommt nicht oft vor, dass ich solche Werkzeuge benützen kann.

Ich fand es toll, mit Material zu basteln, das sonst weggeworfen wird. Ich freue mich, dass meine Arbeiten nun ausgestellt sind und meine Eltern sie sehen können.

Ich habe einen Kuchen, eine Glace und eine Makrone gemacht. Man hat Lust, sie zu probieren, vor allem die Makrone, die ist gut gelungen! Ah ja, ich habe auch ein kleines Puppenhaus gemacht. Diese Werkstatt in mehreren Quartieren war prima, so hat man andere Kinder getroffen.

Es war super cool, was wir gemacht haben, aber auch ein wenig schwierig! Man musste herausfinden, wie es geht. Aber ich bin zufrieden mit dem Resultat!
Amandine Houma

Familienferien

Vom 22. bis 29. Juli verbrachten fünf armutsbetroffene Familien aus der Westschweiz miteinander eine gelungene Ferienwoche im  ATD- Haus in Treyvaux. Sie kamen aus den Kantonen Genf, Waadt und Freiburg. Drei dieser Familien kannten das Haus vorher nicht. Schon am ersten Abend sagte uns eine Mutter: „Ich bin gekommen, damit ich nachher mit meinen Kindern auf gute Erinnerungen zurückblicken kann. Wir brauchen das.“ 

Die Woche war reich an Aktivitäten für die Kinder, an Entspannung für die Eltern und an kulturellen und sportlichen Ausflügen, die zu einem fröhlichen Zusammenhalt unter allen beitrugen.  Ein Helferteam von acht Personen, darunter drei Jugendliche, teilten diesen Alltag. Sie entdeckten, wie wichtig es ist, Beziehungen zu knüpfen, indem man Fähigkeiten und manchmal auch Lebenserfahrungen teilt. Eine Jugendliche meinte: „Man braucht kein Fernsehen hier, es gibt so viel zu erleben!“  Sicher ist, dass die Eltern und vor allem die Kinder mit einem Schatz an neuen Erfahrungen und schönen Erlebnissen nach Hause gegangen sind. 

 

 

Strassenbibliothek in Basel und Genf

Wir suchen freiwilige Helfer,
vor allem auch für eine intensive Zeit in den Sommerferien vom 2. bis 13. Juli 2018

Strassenbibliothek, was ist das ?? Mit Video und einem Erlebnisbericht.

Opens internal link in current windowKontakt: Adresse, Telefon, e-mail auf der Regionalseite Basel

Am Samstag, 5. Mai von 10.00- 16.00 findet hier im ATD- Treffpunkt in Basel ein Workshop « Strassenbibliothek» auf schweizerischer Ebene statt, Neben Strassenbibliothekleuten von Basel werden auch Personen aus der Equipe von Genf und ev vom Jura teilnehmen. Es geht dabei um einen Erfahrungsaustausch, Neues erfahren, kennenlernen, Grundsätzliches über die Strassenbibliothek erarbeiten, festlegen auch für die Zukunft in den einzelnen Equipen und auf schweiz. Ebene.

Einladung zum Workshop vom 5. Mai 2018  (pdf)


Sich einsetzen

Elend ist Menschenwerk,
nur die Menschen
können es wieder vernichten.

             Joseph Wresinski

 

 

Sie können:

  • ATD Vierte Welt durch Ihre Spenden unterstützen
  • ein dreimonatiges Praktikum zum Kennenlernen machen

 

 

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Begegnungstage: familiär und generationenübergreifend

** Wenn ihr Personen oder Familien mit Kindern kennt, welche Erholung brauchen,
** Wenn ihr euch beim Empfangsteam beteiligen oder Aktivitäten mit Kindern, Jugendlichen und Ewachsenen vorschlagen möchtet,
** Wenn ihr bei der Verständigung zwischen Deutsch- und Französischsprachigen helfen könnt.

Opens internal link in current windowdann meldet euch bitte hier bei uns  oder per Telefon: 026/413.11.66.

Initiates file downloadProjektbeschreibung (PDF):
– Familientage (+ Ferienwoche)
– Werk- und Kreativtage
– mit Kalender der Begegnungen

Fotogalerie:

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Generationen

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“Augenblick”

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